Spotlights aus der Wissenschaft sind interessante, praxisrelevante und teilweise kontraintuitive Erkenntnisse aus der Forschungsliteratur zu MINT-Bildung.
Prof. Drs. Albert Ziegler bereitet dabei, im Rahmen von MesH_MINT, einzelne Erkenntnisse auf seinem LinkedIn-Profil auf. Die einzelnen Spotlights werden auch hier auf der Homepage, in chronologischer Reihenfolge, zur Verfügung gestellt.
2025
'Bin ich klug genug für MINT?' Die fünf folgenreichsten Überzeugungen zum Lernen in MINT
„Mathe kann ich eh nicht!“ – Solche Überzeugungen entstehen früh und prägen, wie Kinder lernen. Besonders in MINT sind diese 5 Glaubenssätze entscheidend:
1) „Brillanz“-Glaube („Muss man ein Genie sein, um Erfolg zu haben?“)
2) Universalität („Können alle richtig gut werden?“)
3) Wachstumsdenken („Kann ich schlauer werden?“)
4) Angeborenheit („Wird man klug geboren?“)
5) Nutzen von Förderung („Hilft Übung wirklich?“)
Die Studie von Muradoglu et al. (2025) zeigt: Schon Sätze wie ‚Mathe ist nur was für Superkluge!‘ demotivieren nachhaltig. Besser: Betonen, dass Anstrengung & Strategien zählen!
Pride Month: Queere Erfahrung in MINT - Sichtbarkeit schaffen & Barrieren abbauen
Der Pride Month ist eine Gelegenheit, um auf die Herausforderungen und Erfolge queerer Menschen in MINT aufmerksam zu machen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie ("Queer individuals’ experiences in STEM learning and working environments", Marosi et al., 2024) fasst die Erfahrungen queerer Personen in MINT zusammen.
Zentrale Befunde:
Queere Personen erleben oft Unsichtbarkeit oder eine „Kultur des Schweigens“ in MINT, in der ihre Identitäten ignoriert oder als „unpassend“ betrachtet werden.
Diskriminierung und Belästigung: Von subtiler Ausgrenzung bis zu offener Feindseligkeit.
Berufliche Nachteile: Queere Fachkräfte berichten von geringeren Karrierechancen und sozialer Isolation.
Psychische Belastung: Der Druck, Identitäten zu verbergen, führt zu Stress und Erschöpfung.
Was wir (unter anderem) tun können:
1) Sichtbarkeit fördern: Queere Vorbilder in MINT sichtbar machen.
2) Sichere Räume schaffen: Durch klare Anti-Diskriminierungsrichtlinien und Schulungen.
3) Intersektional denken: Besondere Unterstützung für queere Personen mit weiteren marginalisierten Identitäten.
Weiterlesen?
Die Studie bietet auch Empfehlungen für Politik, Bildung und Arbeitskultur – hoch interessant für alle, die den MINT-Bereich inklusiver gestalten wollen.
Wer Frauen für MINT-Führungspositionen begeistern will, sollte früh ansetzen - Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie
Einige interessante empirische Befunde:
Männer haben ein größeres Interesse zu führen als Frauen. Aber:
Mädchen im Alter von 5–10 Jahren sind noch genauso führungsmotiviert wie Jungen.
Bei Mädchen steigt die Motivation sogar mit dem Alter, d.h. geschlechtsspezifische Führungslücken entstehen erst später.
Die weitere Entwicklung wird vor allem durch Erwartungen an soziale Unterstützung und Rollenbilder geprägt.
Allerdings gibt es keinen automatischen „Role-Model-Effekt“ durch weibliche Vorbilder. Entscheidend ist WIE Führung kommuniziert wird. MINT-Initiativen sollten daher nicht nur Frauen sichtbar machen, sondern auch ihre Führungsstile (z. B. kollaborativ, transformativ) hervorheben.
Mädchen (und Jungen!) zeigen übrigens größeres Interesse an Führung, wenn diese als hilfsorientiert und gemeinschaftlich beschrieben wird – nicht nur als dominant.
Was Unternehmen tun können:
MINT-Branchen sollten Führungskompetenzen wie Teamförderung stärker betonen, um Frauen anzusprechen.
In Stellenausschreibungen und Schulungen sollte kommunale Aspekte (z. B. „Gestalten Sie Teams“) gleichberechtigt neben klassisch „agentischen“ Eigenschaften (z. B. „Durchsetzungsfähigkeit“) stehen.
MINT-Förderung ab der Grundschule: Engagieren Sie sich in schulisch-außerschulischen Kooperationen. Nutzen Sie spielerische Formate (z. B. Projektleitung im Experiment), die Führung als kooperative Aufgabe inszenieren.
Kritische Phase Adoleszenz begleiten: Da die Geschlechterkluft erst später entsteht, sind beispielsweise Mentoring-Programme für Teenager wie CyberMentor sinnvoll. Sie verhindern, dass Mädchen das Interesse an MINT-Führung verlieren.
Weiterführende Informationen bietet beispielsweise die aktuelle Studie von von Vial & Cimpian.
Viele Wege führen zu MINT: Wie Basketball Jugendliche für MINT begeistern kann
Traditionelle MINT-Programme erreichen oft nur Jugendliche mit bereits vorhandenem MINT-Interesse. Neuere Studien zeigen, dass beispielsweise auch Sport als „kulturelles Kapital“ eine Brücke für neue Zielgruppen darstellen kann.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt beispielhaft, wie innovative Interventionen das Interesse von sportbegeisterten Jugendlichen an MINT-Fächern steigern können – besonders bei denen, die bisher wenig Berührungspunkte damit hatten.
Die Studie im Überblick:
Ansatz:
Durch sportbasierte Aktivitäten (z. B. Messung der Sprunghöhe mit DIY-Tools) wurden Jugendliche spielerisch an wissenschaftliche Methoden des MINT-Bereichs herangeführt.
Ergebnis:
Das Interesse an MINT-Berufen stieg signifikant.
Was die Studie lehrt:
Auch alternative Interessen können dazu dienen, Neugier für MINT zu wecken – ein Ansatz, der auch schon in anderen Bereichen wie Musik oder Kunst erfolgreich getestet wurde.
Frühe Hürden der Bildungsgerechtigkeit:
Warum "Zugang" allein nicht reicht
Die Öffnung der frühkindlichen Bildung für alle Kinder war ein Meilenstein – doch Studien zeigen: Der reine Zugang schließt die Bildungsschere nicht. Stattdessen entstehen neue, subtilere Ungleichheiten.
Eine aktuelle Studie veranschaulicht beispielhaft zwei zentrale Mechanismen:
1) Geringere Beteiligung: Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien engagieren sich seltener aktiv, beispielsweise beim Morgenkreis und gemeinsamen Projekten – unabhängig von ihren Sprachfähigkeiten.
2) Wahrnehmungs-Bias: Engagiertere Kinder werden als „intelligenter“ eingeschätzt.
Das fatale Ergebnis: Kinder aus privilegierteren Familien profitieren doppelt (mehr Beteiligung + positive Zuschreibungen), während andere zurückfallen. Ein Teufelskreis aus geringer Sichtbarkeit und selbsterfüllenden Prophezeiungen entsteht.
Lehrkräfte müssen daher sensibilisiert werden, um alle Kinder einzubinden (z. B. rotierende Sprechrollen).
Persönliche Anmerkung:
Mich erinnert das an das ‚Whack-a-Mole‘-Prinzip: Wir lösen ein Problem – und übersehen dabei das nächste. Um echte Chancengleichheit zu schaffen, müssen wir Systeme proaktiv gestalten – nicht nur reagieren.
PS: "Whack-a-Mole" ist ein Begriff, um eine wiederholende und oft vergebliche Aufgabe oder Situation zu bezeichnen.
Erschwert Geschlechtergerechte Sprache das Leseverständnis: Was sagt die Wissenschaft?
Eine aktuelle Metaanalyse (24 Studien, 922 Teilnehmende) hat untersucht, ob geschlechtergerechte Formulierungen (wie Gendersternchen, Binnen-I oder Doppelpunkt) das Lesen beeinträchtigen – im Vergleich zum generischen Maskulinum. Die Ergebnisse sind klar:
OBJEKTIV keine Beeinträchtigung:
Keine Unterschiede in Erinnerungsleistung oder Lesedauer.
Das Textverständnis bleibt gleich – egal, welche Form gewählt wird.
SUBJEKTIV gibt es aber eine "gefühlte" Beeinträchtigung:
Geschlechtergerechte Texte wurden als etwas weniger verständlich bewertet – vielleicht wegen fehlender Gewöhnung.
Aber: Keine "gefühlten" Effekte auf Lesefluss, Ästhetik oder kognitive Belastung.
Die Debatte um gendergerechte Sprache ist emotional aufgeladen. Diese Studie zeigt jedoch: Wissenschaftlich gibt es keine Belastbarkeit für die Kritik an „Verständlichkeitsproblemen“.
Forschung zu Einflussfaktoren von Mathematikleistungen: Einige zentrale Befunde
1. Stabilisierung der Leistung mit dem Alter
Befund: Mathematikleistungen werden ab der Sekundarstufe zunehmend stabiler. Ältere Schüler/innen zeigen weniger Schwankungen, und frühere Noten werden stärker prädiktiv für spätere Leistungen.
Praxisimplikation:
Frühdiagnostik und individuelle Förderung in der Grundschule sind entscheidend, um negative Pfadabhängigkeiten zu vermeiden.
Sekundarstufenschulen sollten gezielt "Lückenfüller"-Programme für Quereinsteiger anbieten.
2. Frühe Förderung ist effektiver
Befund: Interventionen in der Grundschule wirken nachhaltiger als spätere Maßnahmen.
Praxisimplikation:
Investitionen in Programme wie CyberMentor (MINT-Förderung für Mädchen) oder sprachsensiblen Matheunterricht lohnen sich besonders in Klassen 1–4.
Elternarbeit: Familien über die Bedeutung früher mathematischer Basiskompetenzen (z. B. Teil-Ganzes-Konzept) aufklären.
3. Sprache auch in Mathematik ein Schlüsselfaktor
Befund: Sprachkompetenz (v. a. Bildungssprache) erklärt bis zu 30% der Varianz in Matheleistungen – besonders bei Textaufgaben und abstrakten Konzepten).
Praxisimplikation:
Sprachscaffolding im Matheunterricht (z. B. Visualisierungen, Satzbausteine für Lösungswege).
Kooperation mit DaZ-Lehrkräften, um Fachvokabular systematisch aufzubauen.
4. Soziale Herkunft bleibt prägend
Befund: Der Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Matheleistung verringert sich leicht in der Sekundarstufe, bleibt aber signifikant – v. a. beim Übergang ins Gymnasium.
Praxisimplikation:
Zielgruppenspezifische Förderformate (z. B. Mentoring für Erstakademiker/innen).
Schulen in benachteiligten Quartieren mit zusätzlichen Ressourcen ausstatten (z. B. Kleingruppenförderung).
Beziehungsqualität im Unterricht: Sechs Quizfragen zum Lehrer-Schüler-Verhältnis und die überraschenden Lösungen
Frage 1:
Wann haben positive Lehrer-Schüler-Beziehungen den stärksten Einfluss: Grundschule, Sekundarstufe, Oberstufe?
Frage 2:
Was schadet mehr im Lehrer-Schüler-Verhältnis: Konflikt oder Abhängigkeit?
Frage 3:
Was prognostiziert besser den weiteren schulischen Verlauf der Schüler: Wie Lehrkräfte oder wie Schüler die Beziehung wahrnehmen?
Frage 4:
Wo wirken sich positive Lehrer-Schüler-Beziehungen stärker aus – in westlichen oder östlichen Kulturen?
Frage 5:
Wirkt sich die gleiche ethnische Zugehörigkeit positiv auf die Lehrer-Schüler-Beziehung aus?
Frage 6:
Richtig oder falsch: Positive Lehrer-Schüler-Beziehungen verbessern kognitive (exekutive) Funktionen (z. B. Selbstkontrolle) genauso stark wie schulische Noten.
Auflösungen:
Frage 1:
Wann haben positive Lehrer-Schüler-Beziehungen den stärksten Einfluss: Grundschule, Sekundarstufe, Oberstufe?
Lösung:
Interessanterweise nicht in der Grundschule. Viele denken, jüngere Kinder brauchen mehr Nähe, aber die Forschung zeigt: Ältere Schüler profitieren stärker, vermutlich wegen höherer schulischer/sozialer Anforderungen.
Frage 2:
Was schadet mehr im Lehrer-Schüler-Verhältnis: Konflikt oder Abhängigkeit?
Lösung:
Konflikte haben (noch) stärkere negative Auswirkungen als Abhängigkeit.
Frage 3:
Was prognostiziert besser den Lernerfolg der Schüler: Wie Lehrkräfte oder wie Schüler die Beziehung wahrnehmen?
Lösung:
Die Lehrerperspektive prognostiziert besser. Sie haben einen besseren Blick auf die Dynamik. Schüler bewerten die Beziehung oft durch andere Filter (z. B. Peer-Einflüsse).
Frage 4:
Wo wirken sich positive Lehrer-Schüler-Beziehungen stärker aus – in westlichen oder östlichen Kulturen?
Lösung:
Es kommt darauf an: In westlichen Kulturen gibt es einen stärkeren Effekt auf positive Emotionen, in östlichen Kulturen auf Verhalten (z. B. weniger Problemverhalten).
Frage 5:
Wirkt sich die gleiche ethnische Zugehörigkeit positiv auf die Lehrer-Schüler-Beziehung aus?
Lösung:
Forschungen zeigen: Nein!
Frage 6:
Richtig oder falsch: Positive Lehrer-Schüler-Beziehungen verbessern kognitive (exekutive) Funktionen (z. B. Selbstkontrolle) genauso stark wie schulische Noten.
Lösung:
Die Effektstärken sind ähnlich hoch. Viele Lehrkräfte wissen nicht, dass die Qualität ihrer Beziehung mit den Schülern auch deren kognitive Fähigkeiten beeinflusst.
Literatur:
Emslander, V., Holzberger, D., Ofstad, S. B., Fischbach, A., & Scherer, R. (2025). Teacher–student relationships and student outcomes: A systematic second-order meta-analytic review. Psychological Bulletin, 151(3), 365–397.
Intellektuelle Bescheidenheit:
Können Lehrkräfte durch Eingestehen von Fehlern eine lernförderliche Atmosphäre schaffen – ohne an Kompetenz zu verlieren?
Das neuerdings in der Pädagogischen Psychologie intensiv beforschte Gebiet der intellektuellen Bescheidenheit (intellectual humility) umfasst unter anderem das Eingestehen von Fehlern oder Wissenslücken im Unterricht.
Tenelle Porter und ihre Kollegen untersuchten, ob die intellektuelle Bescheidenheit von Lehrkräften und Dozent/innen (z. B. das Eingestehen von Fehlern oder Wissenslücken) die Motivation, das Engagement und die Lernbereitschaft von Schüler/innen und Studierenden fördert (Link im Kommentar). Fünf Studien zeigen, dass Lehrkräfte, die intellektuelle Bescheidenheit modellieren, bei Lernenden das Gefühl der Akzeptanz, das Zugehörigkeitsgefühl und das Interesse am Fach stärken, insbesondere bei jungen Frauen.
Take-home messages:
Vorbildfunktion: Lehrkräfte, die intellektuelle Bescheidenheit zeigen (z. B. Fehler eingestehen), erhöhen die Bereitschaft von Lernenden, Fragen zu stellen und Unsicherheiten zuzugeben.
Psychologische Sicherheit: Die Modellierung von Bescheidenheit stärkt das Gefühl der Akzeptanz bei Schüler/innen und reduziert die Angst vor Fehlern.
Geschlechterunterschied: Junge Frauen profitieren überproportional von intellektuell bescheidenen Lehrkräften, was bestehende Ungleichheiten in der Partizipation verringern kann.
Lernklima: Ein Unterricht, der Fehler als Lernchance framet, fördert nicht nur Motivation, sondern auch langfristige Leistungsverbesserungen.
Praktische Implikation: Die Studie legt nahe, dass Lehrkräfte durch authentische Bescheidenheit eine inklusivere und lernförderliche Atmosphäre schaffen können – ohne an Kompetenz zu verlieren.
Thema Bildungsgerechtigkeit: Chancengleichheit vs. Ergebnisgleichheit
Die Frage, ob eher Chancengleichheit (equality of opportunity) oder Ergebnisgleichheit (equality of outcome) anzustreben ist, wird in den Sozialwissenschaften, der Philosophie und der Politikwissenschaft intensiv diskutiert. In unserem Artikel (siehe Literaturhinweis im Kommentar) haben Prof. Heidrun Stoeger und ich das Thema in Bezug auf den MINT-Bereich analysiert.
Definitionen:
Chancengleichheit: Jeder Mensch soll gleiche Ausgangsbedingungen haben – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Ethnie oder sozialem Status.
Ergebnisgleichheit: Ergebnisse (Einkommen, Positionen, Repräsentation etc.) sollen in der Gesellschaft gleich(er) verteilt sein.
Wissenschaftliche Perspektive:
Die Debatte ist normativ geprägt und lässt sich nicht empirisch allein entscheiden. Allerdings zeigen Studien, dass reine Chancengleichheit oft nicht ausreicht, um tatsächliche Gleichheit zu erreichen, da Startnachteile (Bildung, Netzwerke, Diskriminierung) fortwirken. Beispiel: Selbst bei gleichem Zugang zu Bildung führen sozioökonomische Unterschiede zu ungleichen Ergebnissen.
Praktische Implikationen:
Chancengleichheit gilt als Grundlage, doch korrigierende Maßnahmen werden diskutiert, z. B.:
Gleichstellungsmaßnahmen (z. B. Quoten),
Strukturelle Förderung (kompensatorische frühkindliche Bildung, Mentoring).
Kritisch bleibt: Wie stark solche Eingriffe sein sollen und ob sie Nebenwirkungen haben (z. B. auf Leistungsanreize).
Fazit:
Die Balance zwischen Chancen- und Ergebnisgleichheit erfordert gesellschaftliche Abwägungen. Wissenschaftliche Studien sind hier unverzichtbar – sowohl zur Wirksamkeit von Maßnahmen als auch zur Vermeidung unbeabsichtigter Folgen.
Wohlfühlen im MINT-Unterricht – Geht das? Einige Tipps für Lehrkräfte
Forschung zeigt, dass das Unterrichtsverhalten der Lehrkraft das Wohlbefinden ihrer Schüler/innen direkt beeinflusst–und damit indirekt deren Interesse und Leistung. Im Folgenden sind einige bekannte Strategien zusammengestellt.
1) Kleine Interventionen, große Wirkung:
Schon 1-minütige Check-ins („Wie geht’s euch heute – Stimmungsbarometer von 1–10?“) signalisieren den Schüler/innen: Ihr seid mir wichtig.
2) Nicht nur an Unterrichtsinhalten, sondern ganz bewusst auch an der Beziehung arbeiten:
Eine positive Beziehung zwischen Lehrkraft und Schüler/innen ist der stärkste Treiber für deren Wohlbefinden – besonders bei Schüler/innen mit schwierigem Hintergrund. Tipp: Regelmäßige 1:1-Gespräche oder Klassenrituale (z. B. „Highlights der Woche“) bauen Brücken.
3) An die Entwicklungsfähigkeit der Schüler/innen glauben (Growth Mindset):
Schüler/innen spüren, ob Lehrkräfte an ihre Entwicklungsfähigkeit glauben. Lehrkräfte können das auf vielfältige Weise vorleben, auch und gerade wenn Schüler/innen etwas falsch machten (z.B. durch prozessorientierte Rückmeldungen wie „Deine Strategie war clever – probier’s nochmal!“ und durchgehend konstruktives Feedback statt Bloßstellen bei Fehlern).
4) Autonomie fördern – ohne Chaos:
Selbstbestimmung steigert Motivation und Wohlbefinden. Praktische Ideen sind etwa Wahlmöglichkeiten bei Aufgaben geben („Bearbeitet entweder Aufgabe A oder B“) oder Partizipation bei Regeln zulassen („Wie könnten wir faire Gruppenarbeit gestalten?“).
5) Interkulturelle Sensibilität als Alltagshaltung:
Vorurteilsfreie Sprache und gezielte Wertschätzung kultureller Vielfalt (z. B. durch Projekte wie „Meine Familiengeschichte“) reduzieren Mobbing und stärken das Zugehörigkeitsgefühl.
6) Achtsamkeit für die „unsichtbaren“ Signale:
Wenn sich die Lehrkraft selbst nicht wohl fühlt in ihrem MINT-Unterricht, überträgt sich das auf ihre Schüler/innen. Fühlt sie sich dagegen selbst wohl, hat sie gute Chancen, dass sich das auf die Schüler/innen überträgt. Tatsächlich sendet die Lehrkraft mit ihrem Verhalten, ihrer Gestik und Mimik zahlreiche unbewusste Botschaften. Lehrkräfte, die bewusst hinterfragen, welche Mindsets sie implizit durch ihr Modellverhalten vermitteln, haben Schüler/innen, die sich wohler fühlen.
Eine aktuelle Forschungsstudie fand interessante Facetten einer unterstützenden Lernkultur in MINT
Prof. Park und Kolleg/innen untersuchten, wie positive verbale Rückmeldungen von Dozierenden auf Fragen von Studierenden in MINT-Fächern deren Selbstwirksamkeit, Zugehörigkeitsgefühl und Motivation steigern können.
Fünf interessante Take-Home Messages:
1) Positive Rückmeldungen wirken: Eine einfache positive Antwort (z. B. "Das ist eine großartige Frage!") auf Fragen von Studierenden erhöht deren Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeitsgefühl in MINT-Fächern.
2) Frauen profitieren besonders: Frauen zeigen deutlichere Anstiege bezüglich Motivation und Engagement, wenn sie positive Rückmeldungen erhalten. Dies kann möglicherweise dazu beitragen, bestehende Ungleichheiten in MINT-Fächern zu verringern.
3) Kontextunabhängige Wirkung: Die Vorteile positiver Rückmeldungen gelten unabhängig davon, ob sie öffentlich oder privat erfolgen oder an die Studierenden selbst oder andere gerichtet sind.
4) Neutrale vs. negative Reaktionen: Neutrale Antworten (z. B. "Dafür haben wir jetzt keine Zeit") werden oft ähnlich negativ wie explizit kritische Rückmeldungen wahrgenommen und können demotivierend wirken.
5) Freundliche Dozierende verstärken den Effekt: Positive Rückmeldungen von als freundlich wahrgenommenen Dozierenden haben einen stärkeren positiven Einfluss auf die Studierenden als dieselben Rückmeldungen von eher als gefühlskalt wahrgenommenen Personen.
Wer schneidet in Kreativitätstests besser ab: Männer oder Frauen? Eine Bilanz der jüngsten Übersichtsarbeiten
Aktuelle Übersichtsarbeiten deuten auf ein spannendes Paradox hin: Frauen schneiden in standardisierten Kreativitätstests oft besser ab (Quelle), während Männer bei tatsächlichen kreativen Leistungen – etwa in Kunst, Erfindungen oder wissenschaftlichen Durchbrüchen – vorn liegen (Quelle).
Wie lässt sich das erklären? Eine mögliche Interpretation ist, dass Frauen ein etwas höheres kreatives Potenzial besitzen, Männer jedoch in der Lage sind beziehungsweise häufiger Gelegenheiten oder Ressourcen erhalten, um ihre Ideen umzusetzen.
Doch wie groß sind die möglichen Potenzialunterschiede? Tatsächlich sind die gemessenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern insgesamt klein – vergleichbar mit dem Abstand zwischen einer 1,2 und einer 1,4 bei einer Schulnote.
Wie einkommensstärkere und einkommensschwächere Eltern die Bildung ihrer Kinder strategisch fördern
Mittlerweile liegen zahlreiche Studien vor, die belegen, dass Eltern mit höherem Einkommen häufiger und andere Strategien zur Sicherung der Bildungschancen ihrer Kinder einsetzen als Eltern mit niedrigerem Einkommen (siehe beispielsweise: Publikation).
Einkommensstärkere Eltern:
1) Risikominimierung (z.B. Finanzierung von unbezahlten Praktika oder Nachhilfe bei wettbewerbsintensiven Ausbildungsgängen).
2) Netzwerke (z.B. Zugang zu prestigeträchtigen Universitäten oder Praktika statt schneller Berufstätigkeit).
3) Langfristige Investitionen (z.B. frühzeitige Förderung von Zusatzqualifikationen wie Programmier- oder Sprachkurse).
Einkommensschwächere Eltern:
1) Motivation & Advocacy (z.B. Fokus auf emotionale Unterstützung und Schulengagement wie Elternabende).
2) Hausaufgabenhilfe (z.B. direkte Lernunterstützung mangels externer Ressourcen).
3) Kurzfristige Sicherheit (z.B. Bevorzugen für ihre Kinder eher berufsorientierte Abschlüsse mit schnellem Arbeitsmarktzugang).
Fazit:
Höhere Einkommen schaffen strategische Freiheiten, während Eltern mit niedrigeren Einkommen innerhalb enger Grenzen optimieren. Offensichtlich ist die Demokratisierung der Bildungschancen ein noch lange nicht abgeschlossenes Projekt moderner Gesellschaften.
Das Stereotype, dass Mädchen nicht talentiert sind:
Resultate einer weltweiten Studie
Das Stereotyp, dass Mädchen nicht talentiert sind, wurde in 72 Ländern bei über 500.000 Studierenden untersucht. Die Ergebnisse sind erschütternd.
Einige ausgewählte Befunde:
1) Talent wurde in fast allen untersuchten Ländern stärker mit Männern assoziiert.
2) Das Stereotyp ist bei leistungsstarken Studierenden stärker verbreitet.
3) Paradoxerweise war das Stereotyp in genderegalitären Ländern stärker.
4) Ähnliche Geschlechtsstereotypen wurden bezüglich Wettbewerbsfähigkeit und Selbstvertrauen gefunden.
Die Ergebnisse der Studie werden unter anderem zur Erklärung der gläsernen Decke verwendet.
Same Classroom, Different Reality: Secondary School Students’ Perceptions of STEM Lessons—A Pioneering Study
Unsere neue Publikation ist erschienen: Erstmals wurde systematisch erfasst, wie Schülerinnen und Schüler den MINT-Unterricht wahrnehmen (z.B. bedrohlich, positiv oder intellektuell herausfordernd).
Obwohl die Wahrnehmung eher MINT-günstig ist, zeigen sich jedoch auch bedenkliche Aspekte. Beispielsweise hielten es Schülerinnen und Schüler durchschnittlich für durchaus möglich, dass man sie im Unterricht täuschen wolle (z.B. bei Prüfungen). Lesen Sie hier die Details in der frei zugänglichen Publikation von Lukas Ketscher, Heidrun Stoeger, Wilma Vialle & Albert Ziegler:
Forschung zeigt, dass der Studienerfolg in MINT nicht zuletzt auf zwei Typen von Zugehörigkeitsgefühl basiert
Das Zugehörigkeitsgefühl (sense of belonging) ist definiert als „die Erfahrung der persönlichen Einbindung in eine Umgebung, sodass man sich als integraler Bestandteil dieser Umgebung fühlt“ (Hagerty et al., 1992, S. 173). Zwei Typen von Zugehörigkeitsgefühl sind für den Studienerfolg in den MINT-Fächern wichtig: Das Zugehörigkeitsgefühl zur Universität und das Zugehörigkeitsgefühl zum MINT-Fach.
Studien zeigen, dass das Zugehörigkeitsgefühl bei Männern höher ist. Bei beiden Geschlechtern nimmt es im Laufe des Studiums typischerweise ab.
Was können wir an der Universität tun, um beide Arten von Zugehörigkeitsgefühlen nicht nur zu erhalten, sondern auch zu steigern?
Warum studieren in den USA Schülerinnen und Schüler asiatischer Herkunft häufiger MINT-Fächer und schließen sie mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreich ab?
In der von Wang publizierten Studie fanden sich unter anderem folgende Befunde:
Nicht überraschend:
MINT-Fächer wurden am häufigsten von Männern asiatischer Herkunft gewählt gefolgt von weißen Männern, Frauen asiatischer Herkunft und weißen Frauen.
Interessant:
Was den Erwerb eines MINT-Abschlusses betrifft, gibt es keine Unterschiede zwischen weißen männlichen Studierenden und Studierenden asiatischer Herkunft BEIDERLEI Geschlechts. Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass weiße weibliche Studierende einen MINT-Abschluss anstreben.
Hoch interessant:
Wie in anderen Studien findet sich auch in der Studie von Wang, dass die Einstellungen zur Mathematik auf den gesamten MINT-Bereich ausstrahlten. Tatsächlich zeigen die deskriptiven Tabellen, dass weiße weibliche Studierende ungünstigere Einstellungen zur Mathematik aufweisen, während die Einstellungen asiatischer Frauen eher der der weißen Männer ähneln.
Paradox anmutender Befund zum Genderstereotyp von Mädchen in Mathe (und dessen Erklärung)
Die Studie von Sofia Henschel et al. ergab zwei Befunde, die sich zu widersprechen scheinen.
Befund 1:
Je stärker Mädchen ein egalitäres Genderstereotyp vertreten, d.h. glauben, dass sie so geeignet wie Jungen für die Mathematik sind, desto höher waren in der Studie ihre Mathematikinteressen und ihr mathematisches Selbstkonzept und umso niedriger ihre Mathematikängste. So weit so gut und so weit auch erwartet. Aber nach der statistischen Kontrolle dieses Effekts fand sich ein weiterer Effekt.
Befund 2:
Je stärker in einer Schulklasse ein traditionelles Genderstereotyp vorherrscht, desto höher sind Mathematikinteressen und mathematisches Selbstkonzept der Mädchen und umso niedriger sind ihre Mathematikängste. (Oder umgekehrt ausgedrückt: Je stärker in einer Schulklasse die Überzeugung vorherrscht, dass Mädchen gleichermaßen wie Jungen für die Mathematik begabt sind, desto niedriger sind ihre Mathematikinteressen und ihr mathematisches Selbstkonzept und umso höher ihre Mathematikängste.)
Was ist das scheinbar Paradoxe?
Es scheint so, dass je erfolgreicher Mathematiklehrkräfte in ihrer Klasse das traditionelle Genderstereotyp bekämpfen, desto geringer sind in ihrer Klasse das Mathematikinteresse und das mathematische Selbstkonzept der Mädchen und umso höher deren Mathematikängste.
Wie erklärt sich der Befund?
Erstens ist zu bedenken, dass sich zwei Befunde überlagern. So profitieren Mädchen davon, wenn sie sich vom traditionellen Genderstereotyp lösen. Aber dieser Gewinn ist ausgerechnet in genderegalitären Klassenräumen geringer und in traditionellen Klassenräumen höher. Warum?
Ein wichtiger Faktor sind Vergleichsprozesse, die in traditionellen und genderegalitären Klassenräumen getriggert werden. In Schulklassen mit traditionellen Genderstereotypen in der Mathematik vergleichen sich Mädchen nicht so sehr mit den Jungen, sondern mit den anderen Mädchen. Man kann sich das mit einer Fußball-Analogie verdeutlichen, die allerdings etwas hinkt: (1) Je stärker Mädchen der Meinung sind, dass sie im Fußball genauso gut wie Jungs sein können, desto besser sind sie typischerweise beim Fußball. (2) Begeben sie sich dann in eine Umgebung, wo man der gleichen Meinung ist und sie können dann mit Jungs spielen, ist ihr Selbstkonzept relativ niedriger als wenn sie in traditionellen Umgebungen ausschließlich mit Mädchen spielen würden.
Was bedeutet das pädagogisch?
Selbst wenn eine Mathematiklehrkraft erfolgreich darin war, ein genderegalitäres Stereotyp der Schulklasse zu vermitteln, ist die pädagogische Mission noch nicht vorbei. Bezugsgruppeneffekte können pädagogische Effekte zunichte machen, weshalb in der Lehramtsausbildung unter anderem vermittelt wird, vor allem intraindividuelle und kriteriale Bezugsnormen anzulegen und zu fördern.
„Programme, die sich dafür entscheiden, Rollenmodelle einzubeziehen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass die bloße Anwesenheit eines Rollenmodells nicht ausreicht“
Wahrscheinlich werden einige ernüchtert sein, doch Rollenmodelle in MINT sind keine Selbstläufer, wie die Meta-Analyse von Lawner et al. zeigt. Ihre Wirkung ist nicht nur begrenzt, es zeigten sich sogar in einigen Studien negative Wirkungen. Programmmacher/innen sollten sich daher unbedingt professionell beraten lassen, bevor sie Rollenmodelle einsetzen. Diese sollten auch geschult werden.
Interessanter Aspekt der Analyse:
Online-Modelle waren erfolgreicher als Präsenzmodelle.
Und um einem Missverständnis vorzubeugen:
Auch wenn Rollenmodelle alleine nur eine begrenzte Wirkung haben, heißt das natürlich nicht, auf ihren Einsatz zu verzichten. In Kombination mit anderen Förderelementen können sie sehr wirkungsstark werden. Beispielsweise wird in unserem mehrfach positiv evaluierten Projekt CyberMentor der Rollenmodell-Ansatz unter anderem mit einem Mentoring kombiniert.
Diversität ist nicht gleich Diversität: Kennen Sie die Unterscheidung in Oberflächen- und Tiefendiversität?
Was ist Oberflächendiversität?
Oberflächendiversität (Surface‐level diversity) wird durch Zugehörigkeit zu demographischen Gruppen definiert. Diverse Gruppen wären danach beispielsweise Teams, die sich aus Mitgliedern verschiedener Geschlechter oder aus Mitgliedern verschiedener Nationen zusammensetzen.
Was ist Tiefendiversität?
Tiefendiversität (Deep-level diversity) umfasst zusätzlich nicht beobachtbare Eigenschaften, darunter Persönlichkeitseigenschaften, Werte und Einstellungen. Die Forderung, Tiefendiversität zu berücksichtigen, gründet auf Beobachtungen wie dass Akademiker/innen aus Deutschland und Argentinien sich in vielerlei Hinsicht ähnlicher sind als Akademiker/innen und Personen aus prekären Verhältnissen, die im gleichen Land leben.
Warum ist es wichtig, zwischen Oberflächen- und Tiefendiversität zu unterscheiden?
Ein Gebiet, wo es notwendig ist, zwischen den beiden Diversitätsarten zu unterscheiden, ist Teamkreativität/-innovation. Dazu einige Befunde aus der interessanten Meta-Analyse von Wang et al.:
Die Oberflächendiversität steht in keinem Zusammenhang mit der Teamkreativität/-innovation.
Bei einfachen Aufgaben besteht sogar ein negativer Zusammenhang zwischen Oberflächendiversität und Teamkreativität/-innovation.
Die Tiefendiversität wirkt sich positiv auf die Teamkreativität/-innovation aus.
Tiefendiversität steht jedoch nur bei räumlich zusammenarbeitenden Teams im Zusammenhang mit Teamkreativität/-innovation, nicht aber bei räumlich getrennt arbeitenden Teams.
Neue Studie präsentiert empirische Belege, dass leistungsstarke Mädchen (in MINT) wirksamere Lernvorbilder als leistungsstarke Jungen sind
In der Forschungsstudie von Sofoklis Goulas und Kolleg/innen wurden zwei Belege für diese Einschätzung präsentiert:
1) Lehrkräfte bewerteten leistungsstarke Mädchen im Vergleich zu leistungsstarken Jungen sowohl in MINT-Fächern als auch in Nicht-MINT-Fächern als die wirksameren Lernvorbilder.
2) Tatsächlich übertrafen Schüler/innen in Klassen mit leistungsstarken Mädchen ihre Mitschüler/innen in Klassen mit leistungsstarken Jungen in Bezug auf (a) die durchschnittliche Leistung am Ende des Schuljahres und (b) die Leistungszugewinne innerhalb des Schuljahres (d. h. die Differenz zwischen der Leistung am Ende des Schuljahres und der Leistung zu Beginn des Schuljahres).
CHANGING THE EQUATION: Securing STEM futures for women
"DIE GLEICHUNG ÄNDERN: MINT-Zukunft für Frauen sichern": Der Technische Report der UNESCO ist online frei abrufbar
Kernaussagen (in deutscher Übersetzung):
1) Frauen und Mädchen sind in den Bereichen Naturwissenschaften, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik anhaltenden geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und systemischen Hindernissen ausgesetzt.
2) In den letzten zehn Jahren wurden keine Fortschritte beim Anteil der Frauen beobachtet, die MINT-Fächer studieren und abschließen.
3) In MINT-Berufen sind halb so wenige Frauen beschäftigt wie in der Gesamtbelegschaft.
4) Geschlechterdiskriminierung – nicht ihre Leistung – hindert Frauen daran, MINT-Karrieren einzuschlagen und darin voranzukommen.
5) Die berufliche Bindung hängt von den Bedingungen innerhalb der MINT-Institutionen und -Arbeitsplätze ab.
6) Nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten, die zwischen den Ländern vergleichbar sind, sind eine Grundlage für die Entscheidungsfindung, sind aber nach wie vor begrenzt.
7) Die Weltgemeinschaft würde von der Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten im MINT-Bereich profitieren.
Was beeinflusst die Entscheidung für oder gegen eine Karriere in MINT stärker:
Wie attraktiv eine Person der MINT-Bereich scheint?
oder
Wie kompetent sie sich in MINT einschätzt?
Unsere neue Publikation befasst sich mit der Frage, was die Entscheidung für oder gegen eine Karriere in MINT stärker beeinflusst: Wie attraktiv einer Person der MINT-Bereich scheint oder wie kompetent sie sich in MINT einschätzt?
Forschungsstand:
In der Forschung besteht überwiegend Konsens, dass sich Personen eher durch die wahrgenommene Attraktivität des MINT-Bereichs als durch eigene Kompetenzüberzeugungen leiten lassen. Es fehlen jedoch Längsschnittstudien.
Unsere Studie:
In unserer Studie mit 700 Sekundarstufenschüler:innen haben wir über mehrere Messzeitpunkte hinweg verfolgt, wie sich die MINT-Karrierewünsche verändern. Wir haben uns genauer angeschaut, welche Rolle dabei die wahrgenommene Attraktivität des MINT-Bereichs und die eigenen Kompetenzüberzeugungen spielen. Dau haben wir zwei neuere statistische Modelle mit verbesserten Eigenschaften zur Identifizierung kausaler Effekte genutzt.
Resultate:
1) Beide statistische Modelle belegten die erwartete Tendenz, dass die wahrgenommene Attraktivität des MINT-Bereichs die MINT-Berufswünsche von einem Messzeitpunkt zum nächsten besser prognostiziert.
2) In Bezug auf die längerfristigen Gesamteffekte ergaben die Analysen jedoch auch Hinweise auf eine leichte Tendenz zu größeren Auswirkungen von Kompetenzüberzeugungen.
3) Zudem gab es einen indirekten Effekt, dass Kompetenzüberzeugungen die wahrgenommene Attraktivität von MINT steigern konnten.
4) Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Kompetenzüberzeugungen von Jugendlichen bei der Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung von MINT-Berufswünschen und -entscheidungen nicht unterschätzt werden sollten.
Spannender Befund zu Diversität und Kreativität: Innovativ, aber nicht praktisch? Aber ob sich das in Folgestudien bestätigen lässt?
Im Einklang mit einigen Vorläuferstudien fanden Yasheng Chen, Adam Presslee und Sue Yang, dass divers zusammengesetzte Gruppen kreativer hinsichtlich der Generierung von Ideen waren. Aber, wie die Autor/innen schon vermutet hatten, waren diese Ideen weniger gut praktisch verwertbar.
Ob sich das aber in weiteren Studien bestätigen wird, dass divers zusammengesetzte Gruppen zwar kreativere Ideen generieren können, diese aber weniger gut praktisch verwertbar sind? Falls ja, würde das wohl ein zweistufiges Vorgehen nahelegen: Divers zusammengesetzte Gruppen generieren Ideen, homogen zusammengesetzte Gruppen wählen die verwertbaren Ideen aus und setzen sie um. Doch solche klaren Prozesslösungen sind in der Praxis selten. Man darf daher gespannt sein, was weitere Studien ergeben, die wohl bald folgen werden.
Wie wirkt es sich aus, wenn Bewerber/innen gegenüber potenziellen Arbeitgeber/innen offen legen, dass sie Migrant/innen der ersten Generation sind?
Auf der Grundlage der Literatur ließen sich zwei konkurrierende Vorhersagen treffen, die in fünf Studien von Peter Ronald Belmi und Kolleg/innen gegeneinander getestet wurden:
1) Es ist vorteilhaft offenzulegen, Migrant/in der ersten Generation zu sein, da diese möglicherweise als motiviert, engagiert, verantwortungsbewusst und fleißig wahrgenommen werden.
2) Es ist nachteilig offenzulegen, Migrant/in der ersten Generation zu sein, da es ihnen nicht gut gelingt in Bewerbungsgesprächen ihre Stärken zu verdeutlichen.
Hauptbefunde
1) Die Ergebnisse stützten die Hypothese der Benachteiligung der Migrant/innen der ersten Generation, wenn sie ihren Migrationsstatus offenlegen.
2) Im Artikel wurde weiter untersucht, ob die Voreingenommenheit gegenüber Migrant/innen der ersten Generation auf einem Defizitdenken der Entscheidungsträger/innen beruht. Und tatsächlich waren Entscheidungsträger/innen nachdem ihnen eine stärkenbasierte Sichtweise nahegelegt wurde eher geneigt, Bewerber/innen der ersten Generation einzustellen.
Endlich auch Daten für Deutschland: Der nach ethnischer Herkunft aufgeschlüsselte Gender Gap in den Mathematikleistungen hielt einige Überraschungen bereit
Hintergrund:
Bislang wussten wir nur wenig darüber, ob und wie sich der Gender Gap in den Mathematikleistungen je nach ethnischer Herkunft unterscheidet. Anhand national repräsentativer Daten von Viert- und Neuntklässlern in Deutschland untersuchten Tamara Gutfleisch und Irena Kogan geschlechtsspezifische und ethnische Unterschiede in den Mathematikleistungen. Begrüßenswert: Mathematikleistungen wurden anhand standardisierter Tests als auch anhand von Lehrerbeurteilungen (d. h. Noten) gemessen.
Ausgewählte Resultate:
1.) Sowohl in der 4. als auch in der 9. Jahrgangsstufe schneiden Mädchen in standardisierten Tests schlechter ab als Jungen.
2.) Bei vergleichbaren Kompetenzniveaus sind in der vierten Klasse keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Mathematiknoten zu beobachten, aber Mädchen erhalten in der neunten Klasse bessere Mathematiknoten als Jungen.
3.) Der Gender Gap in den Mathematikleistungen zuungunsten der Mädchen ist bei türkischstämmigen Schüler/innen in der vierten Klasse und bei südeuropäischen Schüler/innen in der neunten Klasse größer.
4.) Bei den Noten ist die Leistungslücke zwischen türkischstämmigen und einheimischen deutschen Schüler/innen vergleichbar.
5.) Ein überraschendes Ergebnis ist, dass türkischstämmige Jungen und Schüler/innen aus den MENA-Ländern (Middle East and North Africa) bei vergleichbaren Kompetenzniveaus bessere Mathematiknoten als einheimische Schüler/innen erhalten.
Singuläre Maßnahmen zur Leistungsverbesserung greifen zu kurz
Ein neuer, umfassender Literaturüberblick zu den Bedingungsfaktoren von Schulerfolgen in den MINT-Fächern zeigt, warum singuläre Maßnahmen zur Leistungsverbesserung zu kurz greifen werden.
Der Review von Bong und Chen bietet einen umfassenden Überblick über Faktoren, die MINT-Leistungen von Sekundarschüler/innen bedingen. Dazu sichteten sie die aktuelle Forschungsliteratur von 2019 bis 2023. Das besondere der Studie ist, dass sie auf verschiedenen systemischen Ebenen Bedingungsfaktoren untersucht. Es zeigt sich -- wie erwartet -- ein sehr komplexes Bild, das in der Abbildung zusammengefasst ist.
Kinder aus Akademikerfamilien verlieren immer stärker ihren Bildungsvorsprung - Kinder von MINT-Eltern sind nicht betroffen
Mit der Bildungsexpansion wuchs der Anteil der Familien ständig, in denen mindestens ein Elternteil einen Bachelorabschluss hat. In der Studie von Valdés und Kolleg/innen, die als Preprint vorliegt, war das bereits in 20 der 30 untersuchten Länder der Fall. Gleichzeitig gelang es jedoch Akademikerfamilien mit zunehmendem Anteil von Akademikereltern in der Bevölkerung immer schlechter, ihr Bildungskapital zu vererben, d.h. die Leistungen ihrer Kinder nahmen immer weiter ab.
Interessanterweise stellen die Autor/innen fest, dass allerdings zwei Untergruppen von Akademikereltern nach wie vor erfolgreich ihr Bildungskapital weitergeben können: Solche, die einen noch höheren Bildungsabschluss als Bachelor erwerben (Master oder Promotion) oder solche, die ein geeignetes Studienfach wie die MINT-Fächer wählen (insbesondere Bachelor-Abschlüsse in Medizin und Ingenieurwesen).
Studierende der Medizin und der Ingenieurwissenschaften: Durchkommen ist alles, die Note spielt keine Rolle
Nein, das ist kein schönes Ergebnis, was Breetzke und Kolleginnen in ihrer Studie fanden. Ihre Publikation in Springer Nature trägt den Titel “Why are we learning this?!” — Investigating students’ subjective study values across different disciplines.
Die Studierenden des Ingenieurwesens und der Medizin verbanden ihr Fach mit vergleichsweise sehr hohen Kosten. Diese Einschätzung beruhte offensichtlich auf den besonders hohen Anforderungen in diesen Fächern, d.h. die Studierenden müssen möglicherweise nahezu ihre gesamte Zeit und Energie in ihr Studium investieren. Bestürzenderweise legen sie kaum mehr Wert auf gute Noten, sondern wollten einfach nur die Prüfung bestehen – egal wie gut. Was tun?
Kennen Sie das Diversitäts-Innovations-Paradoxon?
Organisationen mit höherer Diversität sind nachweislich innovativer. Allerdings zeigt Forschung, dass ausgerechnet die unterrepräsentierten Gruppen, die die Organisationen diversifizieren, durchschnittlich weniger erfolgreiche Karrieren in diesen Organisationen haben.
Warum sind eigentlich deutsche Schüler:innen weniger ambitioniert als Schüler:innen mit Migrationshintergrund?
Haben Sie eine Erklärung?
Deutsche Schüler/innen treffen weniger ambitionierte Bildungsentscheidungen als Schüler/innen mit Migrationshintergrund bei vergleichbaren schulischen Leistungen und Sozialstatus der Eltern. Schüler/innen der dritten Generation mit Migrationshintergrund ähneln dagegen schon wieder den Einheimischen.
Zuwanderer und ihre Nachkommen treffen nachweislich ehrgeizigere Entscheidungen in Bezug auf Bildungsübergänge. Sebastian Neumeyer und Gisela Will fokussieren in ihrer neuen Studie speziell auf Bildungsentscheidungen nach der Sekundarstufe II in Deutschland (nach der 10. Klasse). Sie analysierten Längsschnittdaten aus dem Nationalen Bildungspanel mit Blick auf die ethnische Herkunft (Türkei, ehemalige Sowjetunion, Polen, andere Länder) und Einwanderergeneration (erste, zweite, dritte Generation).
Resultate:
1) Die meisten ethnischen Gruppen der ersten und zweiten Einwanderergeneration trafen tatsächlich ambitioniertere Bildungsentscheidungen als die deutschen Schüler/innen.
2) Die Autorinnen schlugen vier Erklärungsansätze vor: Zuwanderungsoptimismus, relative Statuserhaltung, antizipierte Diskriminierung und Informationsdefizite (siehe Abbildung). Hierfür konnten sie jeweils Belege sammeln.
(3) Bei Schüler/innen speziell mit türkischem Migrationshintergrund spielte auch das Motiv eine Rolle, den relativen Status im Herkunftsland zu erhalten.
"Nett, aber dumm?"
Unerfreuliche Folgen prosozialen Verhaltens in der Schule, insbesondere für Mädchen.
Ausgangspunkt:
Mädchen verhalten sich in der Schule durchschnittlich prosozialer als Jungen. Sie erhalten daher insgesamt für prosoziales Verhalten mehr Lob als Jungen.
Eine unangenehme Möglichkeit:
Typischerweise loben wir eine Leistung, wenn der Einsatz von Anstrengung zum Erfolg führt. Anstrengung und Fähigkeit werden jedoch als kompensatorisch angesehen, so dass Lob paradoxerweise dazu führen kann, dass eine geringe Fähigkeit zugeschrieben wird. Wenn aber Lob mit geringerer Fähigkeit assoziiert wäre, wie werden dann Schüler/innen wahrgenommen, die für prosoziales Verhalten gelobt werden?
Die Forschungsstudie:
In der Studie von Hannah Streck & Ursula Kessels wurde untersucht, ob prosozial handelnden Schüler/innen tatsächlich niedrigere Fähigkeiten zugeschrieben würden. Leider war dies der Fall, so dass vor allem für Mädchen zu befürchten ist, dass paradoxerweise ausgerechnet ihr prosoziales Verhalten zu einer weiteren Unterschätzung ihrer Fähigkeiten (in MINT) beiträgt. Erfreulicherweise wurden prosoziale Schüler/innen immerhin als sympathischer und beliebter eingeschätzt.
Mentoring und Brokering
Forschung zu Mentoring
„Brokering“ ist vielleicht das wertvollste, was Sie im Jahr 2025 für Ihre/n Mentee tun können.
Haben Sie schon einmal einen jungen Menschen mit jemandem aus Ihrem Netzwerk zusammengebracht (=Brokering)? Solche Kontakte können die Identität, die berufliche Entwicklung und die soziale Mobilität junger Menschen entscheidend beeinflussen. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt für den Aufbau von Sozialkapital.
Gut gemeint ist leider noch lange nicht gut gemacht: MINT-Förderprogramm bleibt ohne Wirkung
Das ist leider nicht untypisch, was in der mit so viel Vorschlusslorbeeren in den USA gestarteten „BUILD initiative“ geschah. Nachdem man die Effekte der an den Universitäten etablierten Mentoring-Programme herausrechnete, konnten keine Fördereffekte mehr nachgewiesen werden.
Natürlich muss man einiges ausprobieren. Doch gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht. Wenigstens wurde dieses Programm seriös evaluiert und nicht nur eine Zufriedenheitsabfrage durchgeführt.
Kurzbeschreibung der „Build initiative“:
„At its core, the BUILD initiative captures students’ attention and imagination by exposing them to hands-on research experiences. The BUILD program aims to achieve its vision by enabling students to develop a strong science identity; namely, to begin seeing themselves as scientists by providing opportunities for them to think and act like scientists. Students selected into the program are designated as BUILD Scholars and awarded funding.”
"Ich bin ein typisches Mädchen!"
"Ich bin ein typischer Junge!"
Welchen Effekt haben solche Selbst-Stereotypen?
Ethnografische und soziologische Studien haben wiederholt gezeigt, dass der Ruf eines fleißigen, gewissenhaften Schülers die Akzeptanz unter Gleichaltrigen bei Jungen untergraben kann. Auch die Ergebnisse der Studie von Leikas und Kolleg/innen deuten darauf hin, dass ein typisch männliches Werteprofil für schulische Leistungen problematisch ist, während ein „mädchentypisches“ Profil Schüler/innen insgesamt einen kleinen Bildungsvorteil verschaffen kann.
Je strenger in der Mathematik, desto geringere Geschlechterunterschiede in den PECS-Fächern? (Physics, Engineering, Computer Science)
Rätselhafter Befund aus den USA zum PECS Gender Gap (Physics, Engineering, Computer Science)
Die Lage:
In den USA erwerben in den PECS-Fächern deutlich mehr Männer als Frauen einen Universitätsabschluss. Das Verhältnis ist etwa 4:1.
Ein rätselhafter Befund:
Joseph Cimpian und Jo. King analyierten in ihrem in Science erschienenen Paper Daten von mehr als 34 Millionen Bachelorabschlüssen. Je strenger die mathematischen Eingangsvoraussetzungen einer Universität waren, desto ausgeglichener war das Geschlechterverhältnis bei den Abschlüssen. Tatsächlich war es nahezu ausgeglichen bei sehr strengen Universitäten. Doch an Universitäten mit niedrigen Eingangsvoraussetzungen in der Mathematik schafften etwa SIEBEN MAL SO VIELE MÄNNER einen Abschluss als Frauen.
Haben Sie eine Erklärung parat?
2024
Können intensive Beratungen gender-untypische Studienplatzwahlen begünstigen?
Bei Männern ja, bei Frauen kaum
Melina Erdmann und Kolleg/innen schreiben im Abstract ihrer Publikation, dass wenig darüber bekannt sei, wie die Geschlechtersegregation in der Hochschulbildung verändert werden könne. Tatsächlich wählen Frauen und Männer in der Mehrzahl geschlechtstypische Studienfächer. Lässt sich das durch intensive Beratungen verändern?
Die Abbildung zeigt, dass das bei Männern sehr wohl klappen kann. Statt 12.7 % wählen nun 29.7 % ein eher untypisches Fach. Bei Frauen ist jedoch die Steigerung von 6.5 % auf 9.6 % bescheiden.
Fazit aus der MINT-Perspektive:
Durch entsprechende Beratungsangebote werden noch weniger Männer MINT-Fächer wählen, aber kaum Frauen zusätzlich hinzukommen.
Kennen Sie die Unterscheidung in agentische und kommunale Eigenschaften?
Und was haben diese mit der Unterrepräsentation von Frauen in mathematischen Berufen zu tun?
Agentische Eigenschaften sind nützlich bei der Erreichung eigener Ziele (z.B. Durchsetzungsvermögen, Zielstrebigkeit). Kommunale Eigenschaften fördern das zwischenmenschliche Zusammenleben (z.B. Hilfsbereitschaft, Fairness, Freundlichkeit).
Eine Erklärung für die Unterrepräsentation von Frauen in mathematischen Fächern ist die mangelnde Zielkongruenz: Da Frauen kommunale Ziele bevorzugen, diese aber in mathematischen Berufen schwieriger zu verwirklichen sind, meiden sie diese.
In einer sich über 20 Jahre erstreckenden Längsschnittstudie analysierten Lili Toh und Helen Watt berufliche Karrieren in mathematischen Fächern. Trotz gleicher mathematischer Leistungsvoraussetzungen waren Personen, die kommunale gegenüber agentischen Zielen bevorzugten, weniger erfolgreich. In dieser Personengruppe waren erwartungsgemäß Frauen stärker vertreten als Männer.
Die Schlussfolgerung liegt nahe: Will man in mathematischen Berufsfeldern die Potentiale von Frauen nicht verlieren, müssen kommunale Ziele stärker zugelassen und honoriert werden.
'Es macht keinen Sinn für ein Mädchen, Ingenieurin zu werden! Es wäre besser, wenn du dein Fach wechselst!'
Studienabbruch in MINT
Auch in den MINT-Fächern ist die hohe Studienabbrecherquote problematisch. Die Abbruchgründe sind vielfältig. Einer ist besonders beklagenswert. Chak (2023) fand in semi-strukturierten Interviews, dass Frauen unter einem höheren Druck ihrer sozialen Umgebung stehen, ihre MINT-Studienwahl zu überdenken.
Das auf der Abbildung wiedergegebene Zitat stammt von Eltern, die erfuhren, dass ihre Tochter Ingenieurwesen studieren wollte.
Talententwicklung in MINT: Das Modell von Stoeger et al. (2024)
Entscheidet die Gen-Lotterie darüber, wie viel Talent wir für MINT haben? Glücklicherweise: nein.
Moderne Begabungstheorien betonen die Rolle effektiver Lernprozesse. Für deren Gelingen sind sowohl internale als auch externale Ressourcen notwendig, die in ihrer Gesamtheit das Bildungs- und Lernkapital einer Person bilden. Und die Befundlage ist eindeutig: Wo immer sich diese Ressourcen häufen, entwickeln sich mit größerer Wahrscheinlichkeit Talente.
Mädchen und Frauen in MINT und ihr Gefühl, nicht dazu zu gehören
In Forschungsstudien kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass viele Mädchen und Frauen in den MINT-Fächern ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl („Sense of Belonging“) verspüren. In der Tat ist das Gefühl, nicht dazu zu gehören, ein starker Motivator, soziale Gemeinschaften, aber auch Fachgebiete zu meiden. Dies hat vielfache Konsequenzen im MINT-Bereich. Beispielsweise schreibt Guo (2024): "Mädchen sind besorgter über die Folgen des von ihnen gewählten Studienfachs, weil sie unter dem Druck von der Gesellschaft und der Familie stehen, da sie ein Studienfach gewählt haben, das nicht zu ihnen „gehört“."
Was muss sich ändern, damit sich alle in MINT willkommen fühlen?
Auch gegen diese Benachteiligung sollten wir etwas tun: Übergewichtige Kinder erhalten für gleiche Leistungen schlechtere Noten (nicht nur in MINT)
Übergewichtige Kinder erhalten im Vergleich zu normalgewichtigen Kindern gleichen Kompetenzniveaus schlechtere Zensuren. Bei der Betrachtung nach Fächern und Geschlecht war die Benachteiligung der Jungen im Fach Mathematik besonders stark.
Wie jede Diskriminierung macht auch diese betroffen, da sie den Betroffenen Chancen nimmt.
Aus gesellschaftlicher Sicht sind die Auswirkungen extrem schwierig zu beziffern. Doch kann man beispielsweise davon ausgehen, dass sich jährlich minimal 2,000 qualifizierte Arbeitskräfte weniger für den MINT-Sektor entscheiden.
Haben Mädchen tatsächlich einen Notenbonus in Mathe?
Neue Forschung lässt daran zweifeln
In einigen Studien hatte sich gezeigt, dass Mädchen bei konstant gehaltenem Kompetenzniveau bessere Noten als Jungs erhalten. Triventi und Kolleginnen untersuchten dies in einer als Preprint erschienen Studie anhand deutscher Daten.
Während sich im Fach Deutsch tatsächlich ein solcher Notenbonus nachweisen ließ, fand sich im Fach Mathematik kein Hinweis darauf. Im Gegenteil waren Mädchen sogar leicht benachteiligt, eine gute Note zu erhalten.
Übrigens zeigte die Studie auch, dass sich ein Notenbonus von Schülerinnen und Schülern zu einem großen Teil durch höhere Fachinteressen und höhere Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit, Pflichtgefühl, Gründlichkeit) erklären lässt. Es handelt sich also eher nicht um einen Geschlechtseffekt, sondern um einen Effekt unterschiedlicher Verhaltensweisen und Persönlichkeitseigenschaften.
Wollen junge Frauen überhaupt weibliche Rollenmodelle in der Physik?
Die Antwort lautet: ja! Doch es gibt eine Einschränkung
Defizit an weiblichen Rollenmodellen:
Jana Lindner und Elena Makarova fanden in ihrer gerade erschienen Studie, dass Wissenschaftlerinnen - abgesehen von Marie Curie - Schülerinnen weitgehend unbekannt sind, was dazu beiträgt, dass die Physik als Männerdomäne wahrgenommen wird.
Die bestürzende negative Seite von sichtbaren weiblichen Rollenmodellen:
Die Schülerinnen äußerten jedoch auch Bedenken gegenüber mehr weiblichen Rollenmodellen. Verinnerlichte Geschlechterstereotypen und die Furcht vor negativen Reaktionen männlicher Mitschüler standen der Forderung nach einer größeren Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen entgegen.
Dennoch klares Plädoyer für mehr weibliche Rollenmodelle:
Trotz dieser Herausforderungen plädieren die meisten Schülerinnen für mehr weibliche Vorbilder, um künftige Generationen von Schülerinnen für eine MINT-Karriere zu begeistern und einen positiven sozialen Wandel zu fördern.
Überraschende positive Wirkungen des MINT-Unterrichts - Ergebnisse einer aktuellen Meta-Analyse
Dass MINT-Unterricht Leistungen in MINT verbessern soll, ist trivial. Doch gibt es weitere positive Effekte? Nun erschien ein Preprint, der überraschende weitere positive Wirkungen zeigt. Im Vergleich zu herkömmlichem Unterricht verbessert der MINT-Unterricht auch deutlich die Kreativität und Problemlösefähigkeiten.
Die Autor:innen führen dies unter anderem darauf zurück, dass in MINT viel einfacher theoretische Konzepte mit praktischen Anwendungen verbunden werden können.
Wer ist besser in Mathe und Lesen: Schüler:innen mit traditionellem oder mit egalitärem Rollenverständnis?
In der Studie von Taraszow und Kolleginnen (2024) zeigte sich, dass
ein egalitäres Geschlechtsrollenverständnis (Grv) Mädchen hilft, besonders gute Leistungen im Lesen zu erzielen und Leistungsnachteile in Mathematik auszugleichen.
Im Lesen erzielten Mädchen mit egalitärem Geschlechtsrollenverständnis bessere Leistungen als Jungen mit egalitärem Grv.
In Mathematik erzielten Mädchen mit egalitärem Grv fast genauso gute Ergebnisse wie Jungen mit egalitärem Grv.
Auch Jungen profitierten von einem egalitären Grv, wenn auch nicht so stark wie Mädchen.
Aus Fehlern und Misserfolgen in MINT lernen: Klappt das so einfach?
Gabriele Steuer und Kolleginnen (2024) hinterfragen kritisch das Narrativ, dass wir Fehler begehen und Misserfolge erleben müssen, um erfolgreich zu sein. Denn damit dies klappt, sind zumindest drei Voraussetzungen notwendig:
Eine fehlerfreundliche Lernumgebung
Schüler/innen müssen Fehler und Misserfolge konstruktiv-interessiert (und zum Beispiel nicht als Bedrohung) wahrnehmen
Schüler/innen benötigen motivational-emotionale und Lernkompetenzen, um nach der Wahrnehmung von Fehlern und Misserfolgen adaptiv reagieren zu können
Was dies konkret bedeutet und impliziert, diskutieren die drei Autorinnen in ihrem Einleitungsartikel zu einer Sonderausgabe des British Journal of Educational Psychology. Eine unbedingt lesenswerte Sonderausgabe, die Sie in der verlinkten Quelle finden.
Selbstreguliertes Lernen in der Grundschule: Unser Team hat zwei der Trainings entwickelt, die es weltweit unter die Top 10 geschafft haben
In dieser Woche wurde in der Fachzeitschrift Psychology in the Schools ein Forschungsreview publiziert, der die Fördermöglichkeiten selbstregulierten Lernens in der Grundschule systematisch untersucht. Anhand eines strengen Kriterienkatalogs wurden aus einem Pool von ursprünglich 810 Publikationen zehn ausgewählt. Unser Team (Teilteam der Uni Regensburg unter der Leitung von Prof. Dr. Heidrun Stöger und Teilteam der Uni Erlangen-Nürnberg unter meiner Leitung) war unter den zehn ausgewählten Publikationen gleich zweimal vertreten.
Glaubt mein Professor überhaupt, dass ich mich in MINT verbessern kann?
Sie wollen mit einer Einstiegsfrage die psychologische Verwundbarkeit von MINT-Studierenden, ihre Motivation und ihre mutmaßliche Leistungsentwicklung erkunden? Dann bitten Sie um eine Einschätzung, ob ihre Professor/innen von ihnen glauben, dass sie ihre Fähigkeiten in MINT verbessern könnten.
Mehr zum Hintergrund der Frage finden Sie im verlinkten Originalartikel
Geschlechterungleichheit und PISA-Ergebnisse
Je größer die Geschlechterungleichheit in einem Land ist, desto schlechter sind dort die Schulleistungen
Je größer die Geschlechterungleichheit in einem Land ist, desto schlechter sind dort die Schulleistungen
In einer gerade erschienenen Studie wurden länderübergreifende Daten aus drei Zyklen von 2012 bis 2018 der PISA-Studie verwendet. Sie wurden in Beziehung gesetzt zum Gini-Koeffizienten und dem Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit (GII) als Messgrößen für die wirtschaftliche Ungleichheit bzw. die geschlechtsspezifische Ungleichheit eines Landes.
Die Ergebnisse zeigen überraschend deutlich, dass je größer in einem Land die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist, desto schlechter schneiden sowohl Jungen als auch Mädchen bei PISA ab. Dieser negative Zusammenhang zwischen geschlechtsspezifischer Ungleichheit und schulischen Leistungen war ausgeprägter als der zwischen wirtschaftlicher Ungleichheit und schulischen Leistungen.
Mathematikstudium
Wie der Gedanke an die Mutter die Wahl beeinflussen kann
Michela Carlana und Lucia Corno publizierten im Mai in den AEA Papers and Proceedings eine hoch interessante Studie. Sie untersuchten, wie das Nachdenken über elterliche Ratschläge die Wahl eines Studienfaches beeinflusst. Bei Mädchen sank die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für die Mathematik entscheiden um 23 Prozent, wenn sie an ihre Mütter denken.
Auch diese Studie unterstreicht die wichtige Rolle, die Eltern bei der Bildung geschlechtsspezifischer Überzeugungen über vermeintliche akademische Stärken spielen.
Fehlerkultur in der Schule:
Gibt es Geschlechterunterschiede?
Das Konzept der Fehlerkultur beschreibt in Bezug auf den Schulunterricht, wie mit Fehlern, Fehlerrisiken und den Konsequenzen von Fehlern umgegangen wird.
Ungünstig wirkt es sich beispielsweise aus, wenn Lehrkräfte einen ablenkenden bis vermeidenden Umgang mit Fehlern zeigen. Dies nimmt Schüler/innen wertvolle Gelegenheiten, einen funktionalen Umgang mit eigenen Fehlern zu erlernen.
Wie die im letzten Monat erschiene Studie von Carolin Burmeister und Kolleg/innen berichtet, gelingt es vor allem den Mädchen nicht, einen funktionalen Umgang mit Fehlern in der Schule zu erwerben. Schon in der Grundschule nehmen sie ein raueres Klima und eine ungünstigere Fehlerkultur als Jungen wahr und reagieren weniger adaptiv auf Fehler. Insbesondere in den MINT-Fächern kann sich dies später auf das Lernverhalten negativ auswirken.
Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern sollte daher schon recht früh im Klassenraum gelebt und eingeübt werden. Hierfür gibt es bereits vielversprechende pädagogische Ansätze.
Monoedukation
Der Literaturüberblick von Robinson et al. (2021)
Prof. Daniel Robinson von der Francis Xavier University (Kanada) und Kollleg:innen fassten in einer Überblicksarbeit die Forschungsergebnisse zum Thema Monoedukation zusammen. Die Highlights:
Der Forschungsüberblick beschäftigte sich mit folgenden Themen: Schulische Leistungen, Geschlechternormen, Selbstkonzept und Selbstverständnis, Einfluss der Eltern/Erziehungsberechtigten, Bildungsgerechtigkeit und Arbeitsmarkt/Karriere.
Hoffnungen, wonach sich die ALLEINIGE Unterrichtung von Mädchen und/oder Jungen in geschlechtshomogenen Schulen positiv auf die schulischen Leistungen auswirkt, erfüllten sich nicht.
Es gibt zwar einige Studien, die auf einen solchen kausalen Zusammenhang hindeuten, aber es sind nur wenige, und sie werden keineswegs durch die gesamte vorhandene Forschungsliteratur gestützt. Die Literatur deutet eher darauf hin, dass Monoedukation ein BAUSTEIN sein kann, der mit anderen kombiniert werden muss.
Monoedukative Erziehung hat dann das Potenzial, sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen Geschlechternormen infrage zu stellen und auch zu durchbrechen.
Die Literatur zum Thema Monoedukation zeigt somit einige vielversprechende, aber begrenzte Möglichkeiten für die Schaffung von Chancengleichheit. Es muss also offensichtlich mehr passieren, Monoedukation alleine löst nicht das Problem.
Welche Rolle spielen schulische Mathe- und Sprachnoten für das Gendergap in MINT?
Kaum eine Rolle in anderen Ländern, doch eine große Rolle bei uns
Weltweit entscheiden sich Frauen seltener als Männer für MINT-Studiengänge. Eine häufig untersuchte Erklärung für diese geschlechtsspezifische Diskrepanz lautet, dass Frauen in der Sekundarstufe schlechtere Leistungen in Mathematik und bessere Leistungen in Sprachen als Männer erbringen.
Studien in anderen Ländern haben nur schwache Belege für diese Hypothese gefunden. Eine letzten Monat erschiene Forschungsstudie von Prof. Wilfred Uunk zeigt dagegen für Deutschland einen erheblichen Einfluss der Noten auf die Wahl eines MINT-Faches.
Es ergeben sich aus diesem Befund (mindestens) zwei unmittelbare Ziele:
1) Es muss Mädchen endlich ermöglicht werden, die gleichen schulischen Leistungen in Mathe wie Jungs zu erreichen. Obwohl dieser Gender Gap nun schon sehr lange bekannt ist, haben wir ihn in Deutschland noch immer nicht überbrückt. Denn dass das gelingen kann, zeigen uns andere Länder.
2) Die dysfunktionale Fixierung auf die schulischen Noten bei der Studienfachwahl muss überwunden werden. Junge Menschen müssen unterstützt werden, fundiertere Kriterien zu entwickeln, die mehr als die reflexhaften Antworten auf Fragen wie „Welche Noten habe ich?/Was kann ich?“ und „Was will ich?“ umfassen. Auch das geht besser.
Warum sind Personen asiatischer Herkunft so erfolgreich auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt?
Zwei Lehren für Deutschland
Die Forschung von Jiannbin Lee Shiao von der University of Oregon zeigen, dass
1) … sich Eltern asiatischer Herkunft viel stärker für die Bildung ihrer Kinder in der Überzeugung engagieren, dass Lernen sozioökonomischen Aufstieg ermöglicht. (Dieses Bewußtsein ist bei uns seit den 70er Jahren kontinuierlich gesunken.)
2) … die amerikanische Gesellschaft Personen mit asiatischem Hintergrund im Vergleich zu Angehörigen anderer Ethnien leichter auf dem Arbeitsmarkt akzeptiert und deren Aufstieg eher zulässt. (Wenn wir alleine das deutsche Desaster bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse betrachten, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass Minoritäten bei uns nicht den gesellschaftlichen Beitrag leisten (können), den sie leisten könnten.)
Was wird eigentlich konkret zur Verbesserung des Ansehens von MINT-Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen bei Schüler:innen getan?
Denn...
Studien zeigen, dass Schüler:innen umso eher den MINT-Bereich wählen, je höher das Ansehen ist, das bei ihnen MINT-Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen genießen.
Wer ist besser in den MINT-Fächern: Männer oder Frauen?
Was Jungen und Mädchen zwischen 5 und 9 Jahren glauben
Jungen bewerteten generell die Kompetenzen von Männern höher als die von Frauen – sowohl in MINT als auch in Bereichen außerhalb der MINT-Fächer.
Mädchen bewerten dagegen Frauen nur in Bereichen außerhalb der MINT-Fächer besser als Männer.
Der Gender Gap in MINT schlägt seine Wurzeln offensichtlich schon lange bevor sich das in unterschiedlichen Beteiligungsraten von Mädchen und Jungen ausdrückt. Dies bestätigt die weithin vertretene Auffassung, dass es in der Sekundarstufe nur noch um Intervention geht, weil es für Prävention bereits zu spät ist.
Erfolgreich in MINT und dennoch beliebt bei Mitschülern und Mitschülerinnen?
Das funktioniert recht gut in China, aber leider nicht so gut in Deutschland. Das wirft die Frage auf: Warum sind bei uns leistungsstarke Schülerinnen und Schüler nicht so geschätzt bei ihren Peers?
Der Anteil an Akademikerfamilien ist in Deutschland gestiegen.
Wie beeinflusst das die Hochschulbildung ihrer Kinder?
Pia Nicoletta Blossfeld hat in ihrer hochinteressanten Studie untersucht, wie sich der steigende Anteil von Akademikerfamilien über die Kohorten hinweg auf die tertiären Bildungsabschlüsse von Söhnen und Töchtern auswirkt. Einige Ergebnisse der lesenswerten Studie:
Der Bildungsaufstieg der Eltern führte auch zu höheren Bildungsabschlüssen der Kinder.
Söhne und Töchter profitierten gleichermaßen.
Der Aufholprozess bezüglicher tertiärer Abschlüsse der Frauen lässt sich also nicht mit einer stärkeren geschlechtsspezifischen Gleichstellungsorientierung akademisch gebildeter Eltern erklären. Vielmehr folgen alle Herkunftsfamilien unabhängig von ihrem Bildungsniveau dem gleichen säkularen Trend zu mehr Geschlechteregalität.
Hochqualifizierte Mütter haben keine stärkere Vorbildfunktion für Töchter; ihre Bildung ist für den Erfolg von Söhnen und Töchtern im Hochschulstudium gleichermaßen wichtig.
Zu viel Diskriminierung oder zu viel Konkurrenz?
Warum es Frauen nicht gelingt, ihre besseren Schulnoten in bessere Studiennoten umzusetzen
In der Studie von Diana Roxana Galos und Kolleginnen wurde der Frage nachgegangen, warum Frauen den Leistungsvorsprung aus der Schule an der Universität nicht halten können. Sie konzentrierten sich auf zwei potentielle Erklärungen: Stärkere Diskriminierung von Frauen und ungesundes Wettbewerbsklima an der Universität. Die Ergebnisse zeigen, dass Studentinnen im Vergleich zu Studenten eine stärkere Diskriminierung von Frauen und einen stärkeren Wettbewerb an der Universität wahrnehmen.
Quote of the Day
“While it is important to invest in STEM education to ensure a future talent pipeline, it’s just as important to have a scientifically literate population to understand why we need to do so”.
(Ron Mobed, CEO, Elsevier)
Quelle: 100 CEO Leaders in STEM
Post auf LinkedIn
Was kostet Frauen die Koedukation in MINT?
Ein natürliches Experiment ergibt 36% des Gender Gaps
Avery Calkins und ihre Kollegen nutzten ein einzigartiges natürliches Experiment in der Geschichte der Hochschulbildung: die Umwandlung hunderter Frauencolleges in gemischte Colleges zwischen den 1960er und 2000er Jahren. Ihr Forschungsansatz ermöglicht es insbesondere, die Auswirkungen auf die Fächerwahl zu bewerten. Demnach sind rund 36 Prozent des aktuellen Geschlechtergefälles in den MINT-Fächern auf die Koedukation zurückzuführen.
"Wer ist besser in Mathe: Mädchen oder Jungs?"
In der Adoleszenz kippt die tendenziell egalitäre Wahrnehmung Richtung des traditionellen Stereotyps
In der Studie von Christine Starr (2023) und Kollegen kippte das Antwortverhalten sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen während der Adoleszenz. Die Mehrheit wechselte von einem egalitären zu einem traditionellen Begabungsbild (etwa in der 10. Klasse).
So bedauerlich dieser Befund ist, hat er doch auch etwas Gutes: Eigentlich hätten wir genügend Zeit, dieser Entwicklung gezielt vorzubeugen. Doch leider sind wir in unserer Gesellschaft und in unserem Bildungssystem immer noch zu schlecht aufgestellt, um diese Verschiebung zu verhindern.
Vorläufige Bilanz der Graduiertenförderung
Mehr Internationalisierung? Ja
Mehr Frauen in MINT? Nein
Ali Önder von der Universität Portsmouth untersuchte in einer kürzlich in der Fachzeitschrift Higher Education Quarterly veröffentlichten Studie, inwieweit die Förderlinie Graduiertenschulen der deutschen Exzellenzinitiative zwei ihrer wichtigsten Ziele erreicht hat:
(1) Internationalisierung ihrer MINT-Programme und
(2) Erhöhung des Frauenanteils unter ihren MINT-Promovierten.
Ziel (1) konnte erreicht werden, nicht jedoch Ziel (2). Zwischen Ernüchterung und Resignation diskutiert der Autor in seinem Artikel die selbst gestellte Frage: "If spending billions of Euros on highly enthusiastic and large-scale projects to enhance academia does not boost women's share in STEM fields, then what will?"
Lesen Sie in der Quelle seine Antworten:
Der MINT-Sektor als Schlüsselfaktor für den Gender Pay Gap
Laut Weltwirtschaftsforum ist die geschlechtsspezifische berufliche Segregation, in der Männer in gut bezahlten MINT-Berufen dominieren, ein Schlüsselfaktor für den Gender Pay Gap.
Ein weiterer Grund, warum Frauenförderung in MINT so wichtig ist.
Welche Emotionen sind aus Kindersicht charakteristisch für Forschende?
(A) Positive?
(B) Negative?
(C) Neutrale?
Lösung: (A)
Vasilia Christidou und ihre Kolleginnen untersuchten 245 Jungen und Mädchen im Alter von 5, 8 und 11 Jahren. Das eindeutige Ergebnis dieser Studie war, dass die Forscherinnen und Forscher von den Kindern in dieser Altersgruppe mit großer Mehrheit als positiv emotional eingestuft wurden.
Überdurchschnittliche Leistungen und dennoch unterbewertet: Frauen in MINT-Studiengängen
In der Forschungsstudie von Brittany Bloodhart und Kolleginnen erzielten Frauen sowohl in mathematikaffinen als auch in den übrigen MINT-Fächern bessere Noten als männliche Studierende. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau ihr Studium mit der Bestnote abschloss, war 1,5-mal so hoch wie bei den Männern. Dennoch galten sie an ihren Hochschulen weiterhin als weniger begabt als Männer. Sie unterschätzten sich zudem selbst.
Dies ist ein ernüchterndes Ergebnis: Selbst wenn Frauen objektiv bessere Leistungen erbringen, gelingt es ihnen nicht, sich von den negativen Stereotypen über ihre Leistungen in den MINT-Fächern zu befreien.
Peers beeinflussen Fächerwahlen. Doch welche Peers am Stärksten?
(A) Peers mit denen Studierende "nur Zeit verbringen"?
(B) Eng befreundete Peers?
Die für viele sicherlich überraschende Lösung ist A.
In der Studie von Rubineau et al. (2024) wurden längsschnittlich multiplexe Netzwerkdaten über die Studienwahl und das Durchhaltevermögen von 1260 Studenten an 14 Universitäten untersucht. Peers mit denen Studierende nach eigenen Angaben lediglich Zeit verbringen (und nicht z.B. eng befreundete Peers) beeinflussten die Wahl des Studienfachs substantiell und nachhaltig.
Der Einfluss der Stärkung der Rolle der Frau auf geschlechtstypische Berufserwartungen
Eine Analyse der PISA-Daten durch Melinda Erdmann et al. (2023) in der Fachzeitschrift Frontiers in Sociology zeigt:
Die Stärkung der Rolle der Frau, gemessen an der Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frazen und ihrer Beteiligung an den Parlamenten, führte zu weniger geschlechtstypischen Berufserwartungen bei Mädchen und Jungen.